Hand in Hand: Kanzler Scholz und Litauens Präsident Gitanas Nauseda in Pabrade. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Kanzler Olaf Scholz ist ins Baltikum gereist. Es geht um ein „Leuchtturmprojekt“ der Zeitenwende. Aus Pabrade und Riga berichtet Tobias Peter.

Drei Radpanzer – darunter ein deutscher vom Typ Boxer – und eine Reihe bewaffneter Soldaten bilden die Kulisse, vor der Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Litauens Präsident Gitanas Nauseda auf dem Truppenübungsplatz in Pabrade sprechen. Aus dem Hintergrund dringen Motorengeräusche. Gleichzeitig erklingt ein leises Vogelzwitschern.

Wer Nausedas Statement verfolgt, ahnt, warum Scholz so gern hierher gereist ist. Der Kanzler bekommt hier nämlich das zu hören, was ihm in Deutschland selten jemand sagt. Das Handeln der Bundesregierung sei „Zeugnis und Beispiel für die dringend benötigte Führungsstärke“, sagt der litauische Präsident.

Ein Versprechen für jeden Zentimeter

Es ist staubig, sandig, matschig in Pabrade. Der Kanzler, der in blauer Jeans und braunen Wanderschuhen neben dem litauischen Präsidenten steht, ergänzt nach dessen Statement gern, dass die baltischen Staaten sich auf Deutschland verlassen könnten. „Und das bedeutet, dass wir einander Schutz gewähren und dass sich alle Staaten darauf verlassen können, dass wir jeden Zentimeter ihres Territoriums verteidigen werden.“

Anlässe gibt es für den Scholz‘ Reise gleich drei. Erstens besucht der Kanzler auf dem größten Truppenübungsplatz Litauens deutsche Soldaten, die an einer Übung teilnehmen, die zum Manöver „Steadfast Defender 2024“ gehört. Das ist das größte Nato-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges. 90.000 Soldaten aus 32 Mitgliedsstaaten nehmen teil.

Zweitens haben Litauen, Lettland und Estland gerade den 20. Jahrestag der Aufnahme in die Europäische Union gefeiert. Nach dem Besuch bei Nauseda und den Soldaten in Litauen wird Scholz später am Tag noch alle drei Regierungschefinnen Lettlands, Litauens und Estlands in Riga treffen. Dieser langfristig vereinbarte Termin ist Scholz sogar wichtiger als die kurzfristige Gelegenheit, mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris und mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping zu sprechen. Die Balten sollen wissen: Sie sind Deutschland wichtig. Und die Regierungschefinnen bedanken sich mit viel Lob für die deutsche Politik.

Drittens hat in Litauen gerade eine eigene Zeitenwende für die Bundeswehr begonnen. Hier will die Bundesregierung das erste Mal einen gefechtsbereiten und eigenständig handlungsfähigen Kampfverband dauerhaft außerhalb Deutschlands stationieren. Die Bundesrepublik hat sich sicherheitspolitisch Jahrzehnte lang hinter dem großen Bruder USA versteckt. Nun will sie selbst mehr Verantwortung übernehmen: auch und gerade für die baltischen Bündnispartner. Der mittlere Bruder hofft weiter auf Schutz vom großen, er will sich aber auch besser um den kleinen zu kümmern.

Im April ist ein Vorkommando von etwa 20 Soldaten nach Litauen entsandt worden. Ende des Jahres sollen es 150 Personen sein. Bis 2027 soll die Brigade voll einsatzbereit sein – mit 5000 Soldaten. Das sei ein „Leuchtturmprojekt“ der Zeitenwende, heißt es aus Regierungskreisen. Der litauische Präsident wünscht sich ein noch höheres Tempo. „Wir können uns nicht den Luxus leisten, auch nur eine Minute zu vergeuden“, sagt er.

Viele ungeklärte Fragen

Da kein Leuchtturm kostenlos leuchtet, werden Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), aber auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch viel mit der Sache zu tun haben. Es geht um Milliarden – in Zeiten enger Vorgaben durch die Schuldenbremse.

Zwischen der Bundesregierung und Litauen sind noch viele Fragen ungeklärt: von Kosten für den Bau von Unterkünften bis hin zu Kita- und Schulangeboten für die Kinder der Soldaten. Es wird noch viele Gespräche zwischen auf Ebene der Verteidigungsminister und der Fachleute geben müssen.

Doch in Pabrade geht es erst mal um etwas anderes: eine Gefechtsübung mit scharfer Munition. Er wolle sich „gemeinsam mit meinem Freund hier“ ein Bild von der Leistungsfähigkeit der Panzerdivision machen, sagt Scholz. Der Kanzler und der litauische Präsident werden im Radpanzer „Boxer“ zum Platz der Übung vorgefahren. Beide verfolgen das Geschehen aus einem Zelt. Der Kanzler erhält, wie alle anderen, grüne Ohrstöpsel. Dann geht es los. Eine der Hauptrollen hat übrigens auch hier, in größerer Zahl, der „Boxer“.